[Lewis] Coser argumentiert, dass Menschen durch verbale Konflikte eher zusammengehalten werden als durch verbale Übereinstimmung. Im Konfliktfall sind sie zu gründlicherer Kommunikation gezwungen, um die Differenzen auszutragen. […] Der Schauplatz des Konflikts wird in dem Sinne zu einer Gemeinschaft, als die Beteiligten es lernen, einander zuzuhören und aufeinander zuzugehen, obwohl sie ihre Differenzen sogar noch deutlicher empfinden. Das ist eine Sicht des kommunalen ‘Wir’, die viel tiefer geht als das oft oberflächliche Teilen gemeinsamer Werte, wie es im modernen Kommunitarismus erscheint oder […] in statischen Erklärungen von Familienwerten. Und sie steht den defensiven Erklärungen gemeinschaftlicher Solidarität fern, die heute die generelle Reaktion auf ökonomische Verschiebungen darstellt. In Cosers Augen gibt es keine Gemeinschaft, solange die Differenzen in ihr nicht anerkannt sind. Das heißt, dass er die Gemeinschaft als einen Prozess versteht, in dem im Lauf der Zeit die Differenzen ihrer Mitglieder verarbeitet werden.
—Richard Sennett